Warum wir nicht handeln (Psychologie)
Seit Jahrzehnten weisen Wissenschaftler auf den menschengemachten Klimawandel und dessen Folgen hin. Daher stellt sich die Frage, warum wir selbst heute, da der Klimawandel auch in Deutschland immer sichtbarer wird, nur sehr zögerlich oder gar nicht. Warum sind wir für Manipulationen durch Darstellungen von Thinktanks oder einseitige Pressemeldungen so empfänglich? Wieso klammern wir uns an die Hoffnung, dass der Klimawandel uns nicht treffen wird, wenn wir es als rationale Wesen eigentlich besser wissen könnten (ähnlich wie ein Raucher, der weiß, das er am Rauchen sterben könnte), wenn unsere Experten schon seit Jahrzehnten warnen und wir dies seit Jahrzehnten nicht ernst nehmen.
Laut Wolfe und Tubi [1] ist ein Hauptproblem bei dieser Frage die falsche Annahme, dass Menschen rational handeln würden. Wir handeln zwar oft rational, aber vor allem dann nicht, wenn fundamentale Veränderungen unserer Weltanschauung betroffen sind.
In der Psychologie wird der Umgang mit dem Klimawandel oft im Kontext der Terror Management Theorie oder TMT diskutiert, die bereits seit den 70er-Jahren besteht. 1973 stellte Ernest Becker in seinem Buch “Die Verleugnung des Todes” [2] fest, dass Menschen als intelligente Wesen in der Lage sind, zu verstehen, dass sie eines Tages sterben werden. Daher unternehmen sie große Anstrengungen, um ihrem Leben im kulturellen Kontext einen Sinn zu geben und sich als Individuum als bedeutsam wahrnehmen zu können, was sie in gewisser Weise unsterblich werden läßt. Diese Überlegungen haben die Entwickler der TMT aus sozialopsychologischer Perspektive experimentell untersucht und daraus ist ebendiese Theorie entstanden.
Nach der TMT [3], die inzwischen durch hunderte empirischer Untersuchungen gestützt wurde, bestimmt unser Selbstwertgefühl maßgeblich unser Verhalten, vor allem dann, wenn wir mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden. Hier liegt die Relevanz der TMT im Kontext des Klimawandels und angemessenen Reaktionen darauf. Ein hohes Selbstwertgefühl zu haben, bedeutet, dass man mit sich selbst im Einklang ist und davon überzeugt ist, ein wertvoller Mensch zu sein. Um unseren Wert beurteilen zu können, meinen wir jedoch unwillkürlich, Referenzen heranziehen zu müssen. Dazu helfen soziale oder kulturelle Normen, Rollen und Weltbilder. Menschen, die diesen Normen entsprechen, haben ein hohes Selbstwertgefühl, weil sie nach ihrem Weltbild, das sie von klein auf bei Eltern, Lehrern, dem gesamten Umfeld gelernt haben, ein wertvoller Teil einer sinnerfüllten Welt sind. Menschen reagieren defensiv auf Bedrohungen gegenüber ihrem Selbstwertgefühl oder ihrer Weltanschauungen (auf denen ihr Selbstwertgefühl basiert). Laut TMT müssen also Weltbild und Selbstwert geschützt werden, damit wir unserer Angst, eines Tages zu sterben, begegnen können. Diese Faktoren sind als Angstpuffer quasi unser Schutzschild, welches insbesondere dann verteidigt wird, wenn es angegriffen wird.
Anschaulich kann man sich das so vorstellen: Vielleicht kennen Sie die Coaching-Übung, seine eigene Grabrede zu schreiben. Was möchte man bei seiner eigenen Bestattung wohl über sich hören? Die meisten wünschen sich sicherlich, dass man als wertvoller Mensch wertgeschätzt wird, z.B. als eine gute Mutter oder ein guter Vater, als ein Mensch, der sich positiv engagiert hat, vielleicht gesellschaftlich gut integriert war, beliebt war, oder als ein Mensch der es in seiner Karriere zu etwas gebracht hat. Genau dieser Wunsch, so in Erinnerung zu beleiben, beschreibt das symbolische Überleben, das sich jeder wünscht. Wenn ein erfolgreiche Karriere, die vielleicht durch Luxus widergespiegelt wird, eine wichtige Rolle für das Weltbild, bzw. das symbolische Überleben für jemanden spielt, und man genau dieses Leben (oder den Luxus) anprangert (im Sinne „Du bist mit Deinem Lebensstil ja schuld am Klimawandel“), dann verteidigt man seinen Lebensstil (bzw. eigentlich sein symbolisches Überleben). Beipsielsweise lehnt man den menschengemachten Klimawandel ganz oder teilweise ab oder schiebt die Schuld auf andere (z.B. die USA). Das ganze geschieht in der Regel unterbewusst und es ist ein völlig normaler Mechanismus.
Typische Verteidigungsmechanismen [4] sind vor allem:
- Vermeidung: Wir gehen dem Thema Klimawandel aus dem Weg und schieben Gründe vor, warum wir nichts tun, z.B. keine Zeit.
- Erduldung: Der Klimawandel macht uns Angst, aber wir denken, dass wir nichts tun können und fühlen uns daher hilflos.
- Verleugnung: Wir akzeptieren den Klimawandel nicht, da er – wäre er wahr – unsere Weltanschauung massiv angreifen würde, z.B. wenn uns Statussymbole und Luxusreisen oder andere Dinge wichtig sind, die den Klimawandel mitverursachen.
- Überkompensation (negativ/dysfunktional): Diese beinhaltet Elemente der Verteidigung der eigenen Weltsicht und Selbstwerterhöhung und geht noch einen Schritt weiter: Man kämpft aktiv gegen die Angriffe auf das Weltbild und unterstützt beispielsweise Gruppierungen, die sich genau das zum Ziel gesetzt haben (outgroup antagonism).
- Überkompensation (positiv/funktional): Man besinnt sich auf sein Weltbild (vielleicht war man früher schon ‚öko‘) oder man stellt das Wohl der Kinder über alles und wird aktiv im Kampf für den Klimaschutz.

All diese Mechanismen laufen unterbewusst ab. Typische Äußerungen, in denen sich solche Mechanismen widerspiegeln, sind: „Sollen sich andere darum kümmern“ (Vermeidung), „Wir müssen an Innovation glauben, irgendein schlauer Wissenschaftler wird eine Lösung finden“ (Vermeidung), „USA und China müssen den Klimaschutz erst mal vorantreiben“ (Erduldung, Verantwortung an andere abgeben), „Klimaschwankungen gab es schon immer, der Klimawandel ist ja gar nicht menschengemacht“ (Verleugnung), „Ihr macht doch nur Panik, da könnte ich reinschlagen“ (Überkompensation).
Es hängt also maßgeblich vom Weltbild ab, wie wir in Bezug auf den Klimawandel reagieren. Und je länger wir mit einem Weltbild gelebt haben, desto mehr wird dieses verteidigt. Ein umweltbewusster Mensch wird also eher reagieren und Klimaschutzmaßnahmen umsetzten (da kein Weltbild angegriffen wird, im Gegenteil), während hingegen Diskussionen um den Klimwandel bei Menschen, denen Fernreisen, große Autos, Luxus, u.ä. wichtig sind, eher als ein Angriff auf ihr Weltbild gewertet werden (unterbewußt), so dass sie nicht aktiv werden werden oder sogar gegen den Klimwandel kämpfen (sind Kinder im Spiel, kann der Familiensinn allerdings überwiegen). Hat man über Jahrzehnte in der Autoindustrie gearbeitet, fällt es einem vielleicht schwer, kurz vor der Rente zu hören zu bekommen, dass das ganze Leben fehlgeleitet gewesen sein soll. Wichtig ist es in solchen Fällen, keine Beschuldigungen vorzubringen, sondern zu verstehen, dass es Menschen in der Vergangenheit schwer gemacht wurde, die Dringlichkeit des Klimawandels zu verstehen (siehe oben, Rolle der Presse und Industrie).
Wenn wir zu den Menschen gehören, die im Sinne der TMT den Klimawandel als Bedrohung sehen, der wir ausgeliefert sind (Erduldung), hilft es zu zeigen, dass wir durchaus Handlungsoptionen haben. Kleine Schritte können diese aufzeigen (z.B. Stromanbieterwechsel, Bahnfahren). Anders ist es bei Menschen, die das Thema generell meiden, weil es ihnen unangenehm ist (Vermeidung). Wenn wir zu dieser Gruppe gehören, werden wir das Thema erst ernst nehmen, wenn wir mit dem Thema konfrontiert werden (und gleichzeitig Handlungsoptionen gezeigt bekommen, sonst würde evtl. der Mechanismus ‚Erduldung‘ einsetzen). Bei einem ‚Erdulder‘ wäre das Zeigen von weiteren, beängstigenden Fakten hingegen kontraproduktiv, da der Mechanimsmus ‚Erduldung‘ verstärkt werden könnte.
Weitere Informationen
Mehr Informationen zu den psychologischen Aspekten und zur Klimakommunikation gibt es in einem Buch von George Marshall [5] und auf climateoutreach.org.
Quellen
- Wolfe S. und Tubi A. 2018. Terror Management Theory and mortality awareness: A missing link in climate response studies? WIREs Climate Change. 2018;e566. Online
- Becker E. 1973. The Denial of Death. New York: Simon & Schuster.
- Greenberg J., Solomon S., und Pyszczynski T. 1997. Terror management theory of self-esteem and cultural worldview: Empirical assessments and conceptual refinements. In M. P. Zanna (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology (pp. 61-139). New York: Academic Press.
- Young J.E., Klosko J.S., und Weishaar M. 2003. Schema Therapy: A Practitioner’s Guide. Guilford Publications: New York.
- Marshall G. 2014. Don’t Even Think About It: Why Our Brains Are Wired to Ignore Climate Change. Bloomsbury, New York.